Totenrache by Stevens Amanda

Totenrache by Stevens Amanda

Autor:Stevens, Amanda [Stevens, Amanda]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Thriller
veröffentlicht: 2016-01-31T17:00:00+00:00


ACHTUNDZWANZIG

Als ich das Geschäft verließ, schwirrten mir mehr Fragen durch den Kopf als bei meiner Ankunft. Nelda war so intensiv mit dem Stereoskop beschäftigt, dass sie gar nicht richtig mitbekam, dass ich ging. Eigentlich hatte ich sie fragen wollen, warum sie darauf bestanden hatte, dass ich sie aufsuchte, bevor ich mich dazu bereit erklärte, es restaurieren zu lassen, doch nach ihrer grausigen Eröffnung über Rose, hatte ich nicht das Bedürfnis verspürt, noch länger zu verweilen.

Meine Doppelgängerin und Namensvetterin hatte den Bezug zur Realität verloren, sich mit einem Schlüssel die Augen ausgestochen und sich schließend erhängt. Nelda war damals natürlich fast noch ein Kind und deshalb vielleicht nicht mit allen Fakten vertraut gewesen. Falls Ezra Kroll und die Kolonisten von irgendjemandem kaltblütig ermordet worden waren, war dann nicht auch denkbar, dass Rose das gleiche Ende gefunden hatte?

Nur was, wenn es die Geister gewesen waren, die sie in den Wahnsinn getrieben hatten? Was, wenn sie sich das Leben genommen hatte, um ihnen zu entkommen?

Was, wenn mich eines Tages das gleiche Schicksal erwartete?

Ich war immer davon ausgegangen, dass mir ein grausames Los bestimmt war. Dazu brauchte ich mir bloß Papa anzusehen. Er hatte sich ganz in sich selbst zurückgezogen, um vor den Geistern zu flüchten, und er verschwieg mir Dinge über meine Vergangenheit und meine Gabe, weil er mich beschützen wollte. Seine Motive waren selbstlos, aber seine Geheimniskrämerei machte mich verletzbar. Das sah ich jetzt. Seine Regeln hatten mich einerseits behütet, mich andererseits aber auch behindert. Statt stärker zu werden und zu lernen, wie ich für meine Zukunft kämpfen konnte, hatte ich den größten Teil meines Lebens abgeschieden hinter Friedhofsmauern verbracht und mich versteckt und verstellt.

Diese Zeiten waren lange vorbei. Jetzt sah ich meine Welt mit offenen Augen und konnte ebenso wenig verleugnen, welche Veränderungen in mir stattfanden, wie ich mich vor den Geistern verstecken konnte.

Ich war es jedoch leid, mich weiter darin zu ergehen, wie unheimlich und bedrohlich alles war. Es war ein traumschöner Mai-Morgen, am Himmel war kein einziges Wölkchen, und es wehte eine sachte Brise. Da wollte ich mir weder über meine Gabe noch über Roses Prophezeiung oder über die entfesselte Energie, die Tote zurückließen, den Kopf zerbrechen. Vielmehr wollte ich jeden negativen Gedanken in den hintersten Winkel meines Hirns verbannen und mich ganz und gar auf meine Arbeit konzentrieren, wie ich das immer getan hatte.

Es würde später noch genug Zeit sein, um über Rose Gray nachzudenken, über Ezra Kroll und den Friedhof, den sie für ihn hatte erbauen lassen. Genug Zeit, um mich wie eine Besessene mit diesen Schlüsseln auf meinem Nachttisch zu befassen, mit den lang gezogenen Flecken unter meinen Pupillen und dem grauenvollen Tod, den Rose gefunden hatte. Für den Moment, nur für ganz kurze Zeit, wollte ich mich jedoch in der herben Schönheit einer meiner vergessenen Friedhöfe verlieren.

Und den größten Teil des Tages war ich in der Lage, genau das auf einem kleinen Friedhof, der sich gleich vor den Toren von Charleston befand, zu tun. Doch als ich mich am Spätnachmittag auf die Fahrt nach Trinity machte, schlichen sich die verbotenen Bilder wieder ein.



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